27 Sep Herausforderung: Tandem zwischen Türkei und Deutschland
Dominik und Dejwar treffen sich immer dienstags an der Schule. Doch berufsbedingt arbeitet der Mentor für ein halbes Jahr in der Türkei. Eine Herausforderung für die Tandembeziehung, denn weder der Grundschüler noch sein Mentor wollten auf die liebgewonnenen Treffen verzichten.
Dominik Hübner, arbeitet bei der EnBW Energie Baden-Württemberg und hat sich im September 2021 entschlossen Mentor bei KinderHelden zu werden. Er ist im Tandem mit einem 10-jährigen Jungen, der mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland gekommen ist und unterstützt ihn einmal in der Woche als Lern- und Freizeitpate. Da in Dejwars Familie kaum Deutsch gesprochen wird, hat der Drittklässler vor allem Probleme mit der Aussprache, dem Wortschatz und beim Verstehen von Texten. Aber er ist ein intelligentes Kind, will lernen und wird dabei von seiner Familie unterstützt.
Bisher traf sich das Tandem persönlich an der Pragschule in Stuttgart. Die Routine bestand meist darin erst zu Lesen, schulische Fragen zu klären und dann Fußball, Tischtennis oder Uno zu spielen. Doch ab Mitte April 2022 sollte Dominik beruflich ein halbes Jahr in der Türkei verbringen. Eine Herausforderung für die Tandembeziehung, denn weder Dejwar noch sein Mentor wollten auf die liebgewonnenen Treffen verzichten und sich lange Zeit nicht sehen. Aus diesem Grund beschlossen die beiden gemeinsam mit den Eltern den Kontakt zwischen Türkei und Deutschland virtuell aufrechtzuerhalten. Ob das klappt?
Dominik Hübner berichtet von seinen Erfahrungen nach einem halben Jahr im Ausland:
„Unser letztes persönliches Tandem-Treffen vor dem Auslandsaufenthalt in der Türkei stand an. Routiniert erklärte Dejwar mir was schulisch so anlag und wir beschäftigten uns mit einem Lese-/ Verständnis-Text und Übungen zum Dividieren. Danach spielten wir noch zwei Runden Uno. Alles war wie immer und doch anders, denn bald sollten wir uns für längere Zeit nicht mehr persönlich sehen. Für uns beide ein sehr mulmiges Gefühl, denn wir hatten uns zunehmend an die persönlichen Treffen gewöhnt. Daher war uns eine gewisse Unsicherheit anzumerken. Würden die geplanten virtuellen Treffen wirklich funktionieren? Würden sie die gleiche Intensität haben, wie die bisherigen persönlichen? Zum Schluss machte ein guter Freund von Dejwar noch ein Erinnerungsfoto von uns beiden.“
Erst mal warm werden – unser erstes virtuelles Treffen
„Alles war für unseren ersten WhatsApp-Videocall vorbereitet. Wir saßen zu der vereinbarten Zeit ganz ungewohnt vor unseren Bildschirmen in zwei unterschiedlichen Ländern. Unsere Aufregung war trotz Entfernung deutlich zu spüren und wir beide mussten mit der ungewohnten Situation erst noch warm werden. Mein Mentee war äußerst zurückhaltend und beantwortete nur kurz meine Fragen ohne von sich aus zu reden. Kein so guter Start. Für mich ungewohnt aber erfreulich, dass beim ersten Treffen Dejwars Eltern direkt neben ihrem Sohn saßen und ebenfalls von meinen Erlebnissen in Istanbul erfahren wollten. Meine Antworten auf ihre Fragen übersetzte Dejwar professionell ins Syrische.“
Miteinander lachen und voneinander lernen
„Beim zweiten virtuellen Tandem-Treffen war die Stimmung zum Glück eine ganz andere. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Die Aufregung war auf beiden Seiten verflogen und Dejwar erzählte unbefangen: Über die neuen Themen in Mathe und Deutsch, seinen bevorstehenden Wechsel in die dritte Klasse und ganz ausführlich über das Champions League Finale. Plötzlich war die alte Vertrautheit wieder da. Ich war erleichtert, dass dieses virtuelle Treffen besser als gedacht lief.
Von diesem Zeitpunkt an unterhielten wir uns regelmäßig fast eine dreiviertel Stunde per WhatsApp-Videocall. Ich bin super stolz auf uns, dass mit der Unterstützung seiner Eltern die Technik so reibungslos geklappt hat. Zudem fiel mir zunehmend auf, dass sich Dejwars Wortschatz und Satzbau durch die intensiven Gespräche deutlich verbessert hatten. Dejwar korrigierte sich, wenn er etwas falsch aussprach, hörte mir konzentriert zu und ging auf meine Fragen ein. Diese neue Art der Kommunikation auf Augenhöhe, in die sich der Junge voll einbrachte, machte uns beide große Freude. Daher konnte ich jetzt auch Lerneinheiten in die Treffen einbauen und auf schulische Fragen eingehen. Was für ein toller Entwicklungsschritt.“
Trotz der Distanz oder vielleicht auch gerade aufgrund der Distanz wird unser Verhältnis immer besser
„Dass unsere Tandem-Treffen virtuell stattfanden war für uns nun zur Gewohnheit geworden. Sehr emotional war allerdings ein besonderes Treffen:
Dejwar hatte mir gerade von seiner Schulwoche erzählt, und dass er bereits sein Zeugnis erhalten hatte. Er war ganz stolz, dass er in Deutsch eine 3 und in Mathe eine 2 bekommen hatte. Außerdem bedankte er sich bei mir für meine Hilfe und Geduld. Dann lief er ganz unvermittelt mit dem Handy in sein Zimmer und zeigte mir mit der Kamera unser letztes gemeinsames Foto aus der Stadtbibliothek. Es stand prominent auf seinem Nachtisch neben den anderen Familienbildern. Mir fehlten die Worte und gleichzeitig berührte und freute mich dieser kleine Moment sehr.“
Tandem zurück in Deutschland: Erstes Treffen an der Pragschule
„Die Monate vergingen und am 12. Oktober 2022 war es dann soweit: Wir saßen uns nach so langer Zeit wieder in der Pragschule persönlich gegenüber, zusammen mit seiner Klassenlehrerin. Dejwar erzählte aufgeregt ohne Punkt und Komma: Wie es bei ihm in der dritten Klasse lief, welche Fächer er neu dazubekommen hat, dass er tolle Fortschritte in Deutsch macht – was seine Lehrerin lachend bestätigte. Voller Begeisterung zeigte er mir jede Ecke seines Klassenzimmers. Selbstständig und total souverän. So hatte ich ihn noch nie erlebt, sogar einen kurzen Smalltalk in Englisch führten wir. Beide strahlen wir von einem Ohr zum anderen.“
Herzenswünsche und der Alltag als Held
Mittlerweile hat der der Alltag uns wieder. Es ist spannend als KinderHeld und abwechslungsreich. Dejwar hat mir seinen Herzenswunsch verraten. Er würde so gerne in einem Fußballverein zu spielen. So offen hat er bisher nie seine Wünsche geäußert. Wenn ich bisher Treffen außerhalb der Schule vorgeschlagen habe, war er eher unsicher und abgeneigt. Jetzt versuche ich nach den Sommerferien in Rücksprache mit den Eltern mal ein Probetraining in einem nahegelegenen Fußballverein zu organisieren und auch mal einen Theater- oder ein Museumsbesuch einzubauen.“
Dejwar wird zum Lernprofi
„Dejwars schulische Fortschritte sind klar erkennbar. Nicht nur in den Kernfächern Deutsch und Mathematik. Wir sind beide hoch motiviert und das „Projekt Türkei“ hat uns gezeigt, dass wir es gemeinsam geschafft haben. Es war richtig unsere Freundschaft trotz Entfernung aufrechtzuerhalten. Wir arbeiten gerade im „LernTraining“-Arbeitsheft. Bei diesem Förderbaustein der KinderHelden geht es darum dass Grundschulkinder das Lernen zu lernen, Ordnung zu halten und sich in der Schule besser zu organisieren. Ein Lernprofi kann das und mein Mentee möchte jetzt unbedingt einer werden. Warum? Seine klare Antwort, hat mich sehr beeindruckt und stolz gemacht:
„Ich will ein Lernprofi werden, weil ich will einmal auf ein Gymnasium gehen und einen guten Beruf haben. Außerdem wäre ich gerne der schlauste Fußballprofi der Welt…“
Sie möchten ebenfalls ein Kind begleiten, es stärken und ihm Zeit schenken? Dann erfahren Sie hier mehr zu unserem Projekt “Ich kann’s!” in Stuttgart.